Das Notebook ein Lebensmittel?

Ich erlebe mich bei einer Selbstverständlichkeit: Notebook, Tablet, Smartphone funktionieren und sind immer verfügbar. Auch in den derzeit online stattfindenden Vorlesungen und Weiterbildungsseminaren. Ich habe mich an die verschiedenen Video-Konferenz-Systeme gewöhnt. Studierende und SeminarteilnehmerInnen sehen inzwischen nicht mehr nur Nachteile der Online-Veranstaltungen. 

Nun passierte es mir kürzlich in einer Vorlesung, die im Teamteaching stattfand, dass mein Notebook komplett abstürzte und in der erforderlichen Eile nicht mehr hochzufahren war. Mein Kollege reagierte souverän und wir konnten die Veranstaltung nahezu bruchlos weiterführen. Was wäre, wenn ich allein, zu Hause doziert hätte? Auch das hätte sich mit dem Ausweichen auf den Standrechner lösen lassen. Dennoch, mich ließ die Frage nicht mehr los: Ist das Notebook (und natürlich die anderen digitalen Geräte) für mich zum Lebensmittel geworden?

Zum Leben gehören die Geräte längst. Für meine Arbeit als Dozent, Autor und noch in gelegentlicher psychotherapeutischer Tätigkeit sind sie normale Arbeits- und Kommunikationsmittel geworden. Sie sind praktisch, ersparen Anfahrten und Wege, machen in der Termingestaltung flexibel, überwinden Grenzen, sind nahezu überall nutzbar. Aus dem derzeitigen Leben unter den Bedingungen der Pandemie sind sie nicht wegzudenken. Genauso sind sie Zeiträuber, Verlangsamer, Stressfaktoren, Druckmittel, lästig und verführerisch zugleich.

Sind sie Mittel zum Leben geworden? In meiner beruflichen Arbeit empfinde ich sie als unentbehrlich. Mein wichtigstes Schreibwerkzeug ist das Textprogramm. Ein nicht mehr wegzudenkendes Darstellungs- und Unterrichtsmittel ist das Präsentationsprogramm. Die Speichersysteme erhalten zunehmend den Charakter einer Bibliothek und eines Leseraumes. Der Internetzugang öffnet ein Tor zur Welt. Die Meetingprogramme stellen gerade den Besprechungs- und Begegnungsraum dar. Die Bildschirmzeiten wurden im Laufe des vergangenen Jahres länger. 

Welche Bedeutung haben die digitalen Systeme im privaten Leben? Da nutze ich sie weitaus weniger. Filme, TV und auch die Mediathek bilden dort den Schwerpunkt. Lieber als mit dem Handy telefoniere ich mit dem Festnetztelefon. Allerdings telefoniere ich nicht besonders gern. Ein Messengerdienst stellt den unkomplizierten Kontakt zu Familie und Bekanntenkreis her. Ich schreibe lieber als anzurufen. Immer wieder vergesse ich allerdings das Handy zu Hause, einfach so. 

Die berufliche Nutzung überwiegt die private. Zumindest ist das mein Eindruck. Ein berufliches Arbeitsmittel sind die digitalen Begleiter unbedingt. Im privaten Leben ist vieles eher analog und leibhaftig geblieben. Vor allem, wenn es um das geruhsame, ästhetische, genussvolle Leben geht. Ich stehe gern vor meiner Bücherwand auf der Suche nach Leseanregungen. Ich sitze gerne am Klavier. Ich mag es, in meiner Platten- oder CD-Sammlung zu blättern und auf die Suche nach der Musik zur Stunde zu gehen. Was ich anfassen, berühren kann, lässt mich leichter und zugleich gründlicher begreifen als die zweidimensionale Welt des Digitalen, die vor allem die Augen anspricht. Der Lebensraum erschließt sich dem Ohr. Das Gehör ist der erste Sinn, die sich in der Entwicklung des Individuums öffnet. Mit dem Ohr erfassen wir den Raum. Wir orientieren uns in der Dunkelheit über Geräusche und über das Betasten der Umgebung. So finden wir unsere Wege auch, wenn das Auge versagt. Mit dem Gehör können wir sogar nach innen, in den Körper hinein hören: den Puls- und den Herzschlag, die Geräusche unseres Bauches, manchmal in stressigen Zeiten auch die unangenehmen Innengeräusche unserer Ohren. Stimmen, die wir live hören, klingen räumlich, körperlich. Wie schmalbrüstig und flach klingen die Stimmen aus den digitalen Alltagssystemen. Daran kann ich mich nur schwer gewöhnen.

Für mich ist das Notebook ein Arbeitsmittel, manchmal ein Freizeitbegleiter, um Briefe zu schreiben, Gedanken festzuhalten, Fotos zu betrachten. Ein Lebensmittel ist es nicht. Im Leben mag ich den Raum, erfüllt mit Klängen und Stimmen, mit Perspektiven und dem Spiel von Distanz und Nähe, mit der Körperlichkeit und dem, was ich riechen und schmecken kann. Vor allem, wenn meine Augen müde geworden sind beim Blick auf den Bildschirm und mein Ohr stumpf durch die Flachheit des Headsets.

Die Fotografie oben entstammt einer Ausstellung des Bozner Bildhauers Andrea Bianco. Olivia, die blaue Frauenfigur in der Nische des Schlosses Prösels in Südtirol, setzt zwei Räume zu einander in Beziehung, den leibhaften Raum der Figürlichkeit und den Raum, in dem sie steht. Das Bild vermittelt einen, wenn auch abgeschwächten Eindruck der ursprünglichen Raumwirkung.

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