Ich spreche, machmal echt „agil“.

Es schien sich das Tor zur Welt der Wirtschaft zu öffnen, als ich zu Lehraufträgen in der Business School der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) verpflichtet wurde. Ehrfürchtig bestaunte ich als Psychotherapeut und Philosoph die Anglizismen, mit denen man sich in den Economics verständigte. Wenn mir, was anfänglich noch häufig passierte, ein dem Lateinischen entlehnter psychologischer Fachausdruck herausrutschte, wies man mich dezent darauf hin, mich doch verständlich und in deutscher Sprache auszudrücken. So sei ich „am Ende des Tages“ verstehbar und darum ginge es doch in meiner Vorlesung, mit verfügbaren Soft Skills gut aufgestellt zu sein, vor allem in der Leadership. 

Hendrik Munsberg verfasste zum „Kauderwelsch“ in deutschen Firmen einen launigen Artikel in der SZ vom Wochenende (Nr. 24, S. 21). Was im „Business“ gesprochen wird, bezeichnet er als einen „Mix aus Anglizismen und pseudo-philosophischen Plattitüden“. Die Anglizismen verstehe ich, inzwischen immer wieder einmal in der Führungsentwicklung tätig, meistens und zuweilen nehme ich nolens volens, was im Deutschen soviel wie widerwillig heißt, auch einen in den Mund und wünsche technischen Support für einen Vortrag etwa. Ich betrachtete sie im Grunde als fachausdrückliche Fremdwörter, die aus der Wirtschaftssprache ins Deutsche übernommen wurden. Kenne ich ja von Vorlesungen in Anatomie und Physiologie während des Psychologiestudiums, damals und dort viel entlehntes Latein. 

Die vulgärphilosophischen Floskeln wie „am Ende des Tages“, „Sinn machen“ oder der „Purpose“ zur Begründung der Corporate Responsibility (gesellschaftlichen Verantwortung) eines Unternehmens ärgern mich. Was wollen die Sprecher damit bewirken? Diese Frage stelle ich mir in philosophischer Hinsicht und aus psychologischem Interesse. Vielleicht erarbeitete ich „am Ende des Tages“ eine Antwort dazu. Dabei bin ich mir unsicher, was mit „am Ende des Tages“ gemeint ist? Der Einbruch der Nacht, der Zeitpunkt, in der die athenischen Eulen sich zum Flug erheben? Soll das auf das Orakelhafte in den Wirtschaftsprozessen hinweisen? Oder ist die Mitternacht, die kalendarisch den Tag beendet, die Geisterstunde, in der der Herr es den Managern im Schlaf gibt, was sie folgenden Tages pitchen, supporten oder committen? Nach eines Tages Arbeit kann der Arbeitende auf Ergebnisse blicken, eine Summe über den Arbeitsprozess ziehen oder markieren, wo er am folgenden Tag weiterarbeiten wird. Manchmal ereignet sich das erst tief in der Nacht. Hoffentlich öfter zum Feierabend. Jedenfalls habe ich heute nicht vor, an diesem Blogbeitrag bis zum Ende des Tages zu schreiben.

Eine ausgesprochen vieldeutige, wenn nicht gar dumme Formulierung ist „Sinn machen“. Es steht dazu die Frage auf, was mit „Sinn“ in der Floskel „Sinn machen“ gemeint ist. Heißt „Sinn“ Bedeutung einer Aussage (Aussagensinn) oder ist „Sinn“ in der Bedeutung eines Zweckes gebraucht, den I. Kant  in seinem kategorischen Imperativ vom Mittel unterscheidet. Ist damit der Sinn gemeint, der jeden  Augenblick von der einmaligen und einzigartigen Person als Lebensmotiv aufgefunden werden kann, wie der Psychiater und Psychotherapeut V. Frankl ihn verstand? Ist es der ästhetische Sinn von Kunst, der Gehalt, der sich in gestalteter Form zusammen mit der Materialität des Kunstwerkes ausdrückt? Und: Wie kann Sinn „gemacht“ werden? Oder anders: Ist Sinn produzierbar, herstellbar? Dann wäre er ein Artefakt. Als solches hängt er vom Produzenten und den eingesetzten Produktionsmitteln ab. Ist Sinn tatsächlich das Ergebnis eines wie immer gearteten Herstellungsprozesses? Oder wird ein ökonomischer oder ein Produktionsvorgang gedeutet und ihm Sinn verliehen, nach Maßgabe des Kontextes, in dem die sinngebenden Personen befangen sind? Wie ist es dann um die „hard facts“, die objektiven Tatsachen im Wirtschaftsleben bestellt? Ist Wirtschaftslehre demnach eher ein Deutungssystem und weniger ein Erkenntnissystem? H. Munsberg übersetzt in seinem Beitrag „Sinn machen“ mit „Sinn ergeben“ oder einfach „sinnvoll“ sein. Da sieht er richtig. „Es“ kann nämlich „keinen Sinn machen“, sondern „es“ kann „sinnvoll sein“. Einer Handlung, einem Vorschlag kann Sinn zugeschrieben werden – von Menschen, die der Analyse und der Synthese des Denkens fähig sind. Und wenn es eindeutig um den Zweck und nicht den Sinn eines Betriebes geht, dann erübrigt sich das im Englischen erheblich vieldeutigere Wort „purpose“, das die Schattierungen zwischen Sinn und Zweck verwischt, die „Agilität“ der Deutbarkeit jedoch erhöht.

Geht es vielleicht darum, sprachlich zu verwischen, dass die ökonomische Analyse und das darauf aufbauende wirtschaftliche Handeln so eindeutig nicht sind, d.h. sich nur schlecht in Kausalitäten abbilden lassen? Wirtschaft beruht auf vielen Entscheidungen, für die es – psychologisch gesehen – eine große Menge Motive und einige wenige Intentionen gibt, die meistens in Entscheidungen zur Erwirtschaftung von Einkommen und Gewinn münden. Max Weber sieht darin die „unvermeidlich letzte Triebfeder“ der Wirtschaft (Weber, 2013, S. 120). Könnte es sein, dass sich gerade aus dem Letztzweck des größtmöglichen Gewinns die einzige ökonomisch beschreibbare Kausalität ergibt? Könnte es sein, dass das der Beweggrund für die häufig „soft“ oder „cool“ anmutenden Anglizismen der Unternehmenssprache darin besteht, in einer kritisch gewordenen gesellschaftlichen Umwelt die Kausalität des „Homo oeconomicus“-Konstruktes immer schwerer vermitteln zu können? Weil die kausalen Zwänge zunehmend bezweifelt werden, weil sich Wirtschaft auch achtsam, ökologisch, nicht ego-zentrisch, sondern sozio-zentrisch denken lässt? Hat sich möglicherweise die oft politische Unternehmenssprache längst von der Fachsprache der akademischen Ökonomie entfernt? 

Sprache und Wissen gehören zusammen. Davon leben die Diskurse. Wo Wissen an Grenzen gerät, bedarf es anderer Dimensionen der Kommunikation.  L. Wittgenstein macht das in einer negativ formulierten Aussage deutlich: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ (1984, S. 85) Bis man allerdings zum Schweigen kommt, ist jeder zu einem wahrhaftigen Gebrauch der Sprache verpflichtet. Schon deshalb, weil Sprache ein verlässliches Medium der Vergesellschaftung des Menschen sein sollte.

Quellen:

  • Munsberg, H. (2021): Heute schon „gepitcht“?, in: SZ Nr. 24 / 30./31. 01. 2021, S. 21 
  • Weber, M. (5. Aufl. 2013): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen (Mohr-Soebeck)
  • Wittgenschein, L. (1984): Tractatus logico-philosophicus. Werkausgabe Band 1. Frankfurt (Suhrkamp)
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