Das Bild stellte freundlicherweise Celine Münch zur Verfügung, die das spannende Fausto-Museum auch dokumentiert hat: https://www.rom-museum.com/fausto-delle-chiaie.html
Es war vor vielen Jahren in Rom. Wir gingen in Richtung des Ara Pacis von Augustus. Die Sonne glühte vom Himmel. Es war gegen Mittag. Schon eine Weile fiel uns der Müll auf, der auf der niedrigen Mauer, die die Straße entlangführte, irgendwie arrangiert abgelegt war. Da hatte sich jemand viel Mühe gemacht und eine Ausstellung aus Straßenmüll gestaltet. Oder war das Zufall?
Ein Pfiff erklang. Nicht scharf, sondern eher verhalten, gerade noch hörbar. Wir blickten uns um. Auf der Straßenseite gegenüber stand Fausto. Er gestikulierte uns auf seine Straßenseite hinüber. Er stellte sich vor. Dann erklärte er uns sein Projekt: eine Ausstellung auf offener Straße, die ausschließlich aus Fundstücken bestand, die er auf der Straße sammelte und in kleinen Installationen arrangierte. Sie erzählen die Geschichte Roms, seiner Vergänglichkeit und seines Alltags. Er versuche mit seiner Ausstellung nicht nur die Geschichte der Stadt, sondern die Lebendigkeit und ihre Gegenwart darzustellen. Ein spannendes Projekt, das er weiterführt und das inzwischen auf mehreren Internetseiten beschrieben und dokumentiert ist.
Seit einigen Tagen gehen meine Gedanken immer wieder zu diesem Projekt von Fausto zurück. Wer wird, was ich auf dem Weg durch’s Leben ablegte, wegwarf oder zu Boden fallen ließ, in den Winkeln des Lebens vergaß, sammeln, neu arrangieren, ihm einen Ort geben? Ein wunderbarer Gedanke, der mich schon damals berührte, dass Fausto in seinem Projekt Dingen eine verändernde Beachtung schenkt, die keiner mehr braucht und die sich auf der Straße verteilen. Durch seine Installation schafft er für Straßenmüll einen neuen Kontext. Er sucht die einzelnen Gegenstände heraus, stellt sie neu zusammen, stellt eigene Kunstwerke kommentierend dazwischen – und mit einem Mal wirken sie. Wer sich auf die Installationen einlässt, der wird zu Geschichten angeregt: der Wollrest auf einem Fetzen einer Modezeitschrift, eine Kugel aus bunten Blechdosen, Alufolie und anderem Metall, Glasscherben in einem Stück Einkaufstüte im Rest eines Plastikkorbes, dazwischen Pappe mit Text.
Ähnlich ist es mit den Versatzstücken meines eigenen Lebens. Bei jedem Umzug oder nur Umräumen der Wohnung wandert vieles, das einmal unverzichtbar war, in Kartons und Müllcontainer auf dem Wertstoffhof. Denn vieles, was nicht benützt und weggeworfen wird, ist zumindest Wertstoff im materialen Sinn. Es gibt auch existenzielle Wertstoffe in meinem Lebensraum. Was würde Fausto daraus arrangieren? Wie würden sie als kleine Installationen des Beiläufigen im Lebensweg auf andere, auf mich wirken? Vielleicht ist das eine kreative Idee, in der pandemischen Enge des Lebensortes einiges von dem, was einfach nur noch vorhanden ist, in neues Licht zu rücken, mit anderen Augen anzusehen, neu zu arrangieren? Zumindest käme ich dann mit Teilen meines Lebens wieder in Berührung, die allzu beiläufig irgendwo lagern. Dann erhielte die Einsamkeit der letzten Monate einen eigenen Sinn: das Gewöhnliche neu entdecken, in dem es auf neue Weise zusammengestellt wird und mir selbst und denen präsentiert, die mich demnächst wieder besuchen können. Vielleicht ist das der Stoff, aus dem die Träume sind?