Leben in Nischen ist oft von reiner Selbsterhaltung geprägt. Selbsterhaltung ist eine elementare, zielgerichtete Energie. Sie dient dem Überleben. Zuerst hält sie biologisch am Leben. Ihr eignet, über die physische Vitalität hinausgedacht, dann eine existenzielle Dimension: Wer in Nischen lebt, der weiß, dass es immer wieder um mehr als das physische Überleben geht. Das hängt nun auch von der Nische ab, in der jemand überleben will. In meinem Fall geht es um eine akademische Nischenexistenz, in der ich überleben will. Der Überlebenswille fußt auf den Themen, die mir wichtig sind: die Hospizarbeit, deren theoretische Grundlagen und deren psychosoziale und philosophische Dimension. Das erlebe ich als ein akademisches Nischenthema.
Hospizarbeit vollzieht sich als hospizliche Praxis der Begleitung Sterbender und Trauernder und als Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel, das Sterben, den Tod, die Trauer gesellschaftsweit zu enttabuisieren. Inzwischen wurde die Praxis der Hospizarbeit in zwei groß angelegten, wissenschaftlich aufwändigen und ausgezeichnet dokumentierten Studien (Schuchter et al., 2018; Klie et al. 2019) evaluiert. Was aus meiner Sicht fehlt, ist die Erforschung der philosophischen Grundlagen der Hospizarbeit und die psychosoziale Forschung zu den hospizlichen Prozessen. Ebendiese beiden Schilder könnten auf der Tür zu meiner akademischen Nische gelesen werden. Leider kommt kaum jemand vorbei, weil meine Nische schwer zu finden ist. Wie soll man finden, was man nicht sucht?
Es ist eine verwunderliche Existenz in dieser Nische. Seit zwei Jahrzehnten lebe ich nun mit einem der gewichtigsten Themen des Menschseins: dem Sterben, dem Tod und der Trauer. Es ist bemerkenswert, dass eine Sichtung der modernen philosophischen Anthropologie kaum Hinweise auf die einzige Sicherheit menschlicher Existenz ergibt: Sterblichkeit und Tod. So erscheint trotz vieler Bücherreihen meine Nische immer noch spärlich möbliert. Wie also darin überleben?
Die Bedeutung des Themas für jeden Menschen, denn jeder ist sterblich und wird früher oder später mit dem Sterben und dem Tod konfrontiert sein, ist ein sehr starkes Selbsterhaltungsmotiv. Dabei interessieren mich vor allem die psychosoziale Kompetenz zu Sterben und Tod und die philosophische „Überlegung“ dazu, in der starken, das Reflektieren überbietenden, weil nach Gründen zur Stellungnahme forschenden Fassung des Philosophen Ernst Tugendhat (2010, S. 43 ff.). Das heißt, umfassend und konzentriert den Textbestand der zeitgenössischen Philosophie zu diesen Themen durch zu forschen und die Ergebnisse in eine Grund legende Beziehung zur Hospizarbeit zu setzen. Dafür brauche ich Zeit, viel ungestörte Zeit. Bekannterweise ist Zeit Geld. Also wäre es fein, wenn sich weitreichende Förderungen für dieses Projekt auftun ließen. Mit Förderungen meine ich nicht allein pekuniäre Fördermittel, sondern vor allem auch Diskursräume, die sich dem Thema mit wissenschaftlichem Interesse öffnen. So wäre meine Nische zum akademischen Themenraum geworden.
Einstweilen werde ich mich in der Nische selbst erhalten, immer in der wachen Hoffnung, dass sich ein Weg findet, aus meinen Perspektiven, also mit philosophischer Expertise und psychosozialer Kompetenz das perimortale Leben als zentrales Thema der Hospizarbeit zu bearbeiten. Vielleicht öffnen die Diskussionen um das Recht auf das selbstbestimmte Sterben, wie es das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 formulierte, nicht nur der Gesellschaft, sondern auch der Hospizbewegung die Augen für die Wichtigkeit dieser Forschung. Es geht um keine geringere Frage als die, was es für die Sicht auf das Sterben bedeutet, wenn die Selbstbestimmung des Einzelnen darin als Recht verbrieft ist. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben macht die Grenze aller noch so umfassenden palliativen Versorgung und aller hospizlichen Umsorge greifbar: Sie ist mit der willentlichen, rationalen Entscheidung des Einzelnen zu seinem persönlichen Sterben je und je gezogen.
Wie sollte sich angesichts solcher Fragen meine akademische Nische nicht endgültig als zu schmal erweisen?
- Knie, T. et al. (2019): Ehrenamtliche Hospizarbeit in der Mitte der Gesellschaft? Empirische Befunde zum zivigesellschaftlichen Engagement in der Begleitung Sterbender. Esslingen (Hospizverlag)
- Schuchter, P. et al. (2018): Die Kunst der Begleitung. Was die Gesellschaft von der ehrenamtlichen Hospizarbeit wissen sollte. Esslingen (Hospizverlag)
- Tugendhat, E, (2010): Anthropologie statt Metaphysik. München (Beck Verlag)