Werkstattbericht 2

Meinen dreißigsten Beitrag für Epimeleia schreibe ich als zweiten Werkstattbericht. Die vergangenen Monate waren geprägt von der zweiten und dritten Coronawelle. Die pandemische Melodie von Lockdown und Öffnung wurde immer wieder durch politische Aufregung instrumentiert. Den Wechsel in der Präsidentschaft der USA, den verstolperten Beginn der Impfkampagne in unserem Land, den sich abzeichnenden Wahlkampf mit zwei frühen Höhepunkten, der unspektakulären Kandidatenkür der GRÜNEN und der dramatischen bei CDU und CSU, manches nahm ich zum Anlass, in Beiträgen laut darüber nachzudenken. 

Denken und Lesen gehören für mich zusammen. Ich nehme mir viel Zeit dazu. So beschäftigte ich mich mit philosophischer Literatur auf der Suche nach dem Sinn von Anthropologie. Im Mittelpunkt standen Werke von Ernst Tugendhat, Giorgio Agamben, Hans Blumenberg und zuletzt H. Böhringer, den ich für mich neu entdeckte. Von diesen Denkern ausgehend griff ich immer wieder auf einzelne Werke früherer Philosophen zurück, um Gedankengänge zu verifizieren, meist um sie zu vertiefen. Philosophisches und Literarisches regten mich zu Beiträgen in Epimeleia an. 

Zuweilen waren es auch die kleinen Szenen im Alltagsleben, die ich mit einem Ausrufezeichen versah. Meine Leidenschaft für einen guten Espresso oder Macchiato (keine Latte macchiato!), die zufällige Wiederbegegnung mit dem römischen Projektkünstlers Fausto im Internet, das Rascheln der Zeitungsseiten beim Umblättern, das alles gewinnt in der pandemischen Monotonie Bedeutung. Die Wendung zum Häuslichen bietet Ruhe, manchmal sogar Stille an. Die Ruhe öffnet dem unbemerkt Selbstverständlichen den Raum. Es ist einfach da. In meinem Leben da. Ich gebe ihm zu wenig Aufmerksamkeit im Getriebe des Alltags, im schnellen Leben, in dem das Warten schwerfällt und lästig ist. Das Selbstverständliche braucht die Interpunktion, die zum befreienden Ausatmen, die zum sammelnden Einatmen, vielleicht auch zum Durchatmen anregt. Die Interpunktion bringt Ruhe in die Lebensbewegung dadurch, dass sie gliedert. Wie das Komma, das Semikolon, der Gedankenstrich den Satz unterbricht, Ruhe für Auge und Gehör schafft und dadurch Worte oder Satzteile hervorhebt, so wirkt die kleine Unterbrechung auf den Tagesfluss. Manchmal frage ich mich, wie es wird, wenn das beschleunigte Leben wieder einsetzt, wenn Termine nicht mehr verschoben werden oder nicht mehr online, ohne Reisetätigkeit stattfinden. Was, wenn die Reiseziele wieder locken und ich mehr Zeit in Theater, Konzert, Gastronomie verbringe? So sehr ich mich nach all dem sehne, so sehr sorge ich mich, wieder „in den alten Trott“ zu verfallen. Atemlos, interpunktionslos. Ich empfände es als schade, wenn ich mich wieder im ununterbrochenen Fluss der von mir selbst geplanten Termine vorfände. 

Das nehme ich mir vor: die Freiräume zum Lesen und Denken, die Ruhe, die meine Aufmerksamkeit beim Selbstverständlichen hält, das Wohltuende im Alltag, das will ich weiter pflegen. Wahrscheinlich verändert sich so auch die Genussfähigkeit von Kultur und Mobilität, regt zu Pausen für den Nachhall des Gehörten und die Erinnerung des Gesehenen an. 

Wie ich weiter schreibe? Das weiß ich nicht sicher. Möglich sind größere Pausen zwischen den Beiträgen, weil ich des Schreibens müde bin. Denn in den kommenden Wochen beginne ich die Erarbeitung eines Manuskriptes für ein neues Buch. Die Autorenarbeit wird mich intensiv beanspruchen. Sie kann auch dazu führen, dass ich weniger aufmerksam dem Tagesgeschehen folge und mehr mit der kognitiven Konstruktion und Rekonstruktion von Argumentationen beschäftigt bin, in denen sich das neue Buch vollzieht. Mag sein, dass gerade die Konzentration auf die Arbeit die Sensibilität für die sinnvollen und notwendigen Interpunktionen schafft, an denen ich in Epimeleia Anteil gebe. Kurz: Ich bin selbst gespannt darauf, wie ich Epimeleia weiterentwickeln werde.

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