Einstellungsveränderung für die Zukunft

Zukunft haben, über meine, lebensaltersgemäß, überschaubarer werdende Zukunft hinaus, das wünsche ich mir. Zukunft ist, das lerne ich gerade, nicht nur der Raum der Möglichkeiten. Sich heute mit der Zukunft beschäftigen heißt auch, sich mit den künftigen Wahrscheinlichkeiten auseinanderzusetzen. Die Gegenwart, in der ich lebe, ist der Ereignisraum dafür, welche Zukunft gerade Wirklichkeit wird. Ein Blick auf die Wahrscheinlichkeiten, die prognostiziert werden, lässt die Frage entstehen: Ist die junge Generation in der Lage und bereit, die Möglichkeiten zu erkennen, mit denen wir Menschen die Wahrscheinlichkeiten zu einer Lebenswelt umgestalten können, die Zukunft verheißt? Damit verbinde ich eine zweite Frage: Genügt uns Menschen das evolutionäre Motiv des Überlebens, um eine Lebenswelt zu gestalten, die Mensch-Sein ermöglicht? Und eine dritte Frage steht auf: Sind die PolitikerInnen, die gerade zur Wahl stehen, hier und heute die richtigen, um die Tragweite der beiden vorangehenden Fragen angemessen zu erfassen, ernst zu nehmen und die Verantwortlichkeit aus ihnen abzuleiten, die ab sofort das Denken und Handeln bestimmen soll? 

Gut, ich bin kein Politiker. Ja, ich befinde mich nicht einmal in der Position, mir einen hinreichenden Überblick über das, was Zukunftsverantwortung gerade bedeutet, zu verschaffen. Ich entdecke, wenn ich Beiträge aus der Fridays-for Future-Bewegung, von jungen UmweltaktivistInnen oder SozialpolitikerInnen lese oder höre, wenn ich mich mit Reflexionen über Klimaveränderung, Digitalisierung, Verkehrswende und all den Folgen daraus beschäftige, Denkmuster in mir, denen ich zunehmend skeptischer begegne. Mein „Mindset“ ist immer noch mitgeprägt von ideologischen Denk- und Handlungsweisen aus der 68-iger, der Friedens-, der Anti-Atomkraft-Bewegung. Ich war gegen Vieles, von dem bedrohliche Entwicklungen ausgehen. Wofür war ich? Wofür bin ich?

Fast reflexartig fühle ich mich zu den PolitikerInnen hingezogen, die eher zu meiner Generation gehören, weil ich bei ihnen viel Vertrautes entdecke: im Denken, in den Bewertungen und der Argumentation. Gleichzeitig regt sich gerade gegen das Vertraute intellektueller Widerstand in mir. Denn ich sehe so viel Unvertrautes und dabei Wahrscheinliches in der Zukunft, was mich dazu auffordert, bisherige Standpunkte aufzugeben und neue Perspektiven zu suchen. Und ich ahne, dass das, was auf mich noch eine Weile, auf meine Kinder auf große Strecken der Lebenszeit zukommt, das ist ja Zu-kunft, die gewohnte Lebenswelt radikal verändern wird. Ich, wir wollen das nur einfach nicht wahrhaben.

Ein Beispiel: die Verkehrswende als Beitrag zur Milderung des Klimawandels. Mit alternativen Antriebskonzepten kann der Klimawandel vielleicht technisch ein wenig abgefedert werden. Weitaus erheblicher wird es sein, ob es uns VerkehrsteilnehmerInnen gelingt, unsere Einstellung zur Mobilität zu verändern. Vielleicht werden wir Mobilität als Konsumgut von Mobilität als Erfordernis differenzieren lernen. Konkret könnte das bedeuten, dass Urlaubsreisen, Pendeln zwischen Alltags- und Ferienwohnung, auch Kulturreisen zum kostbaren Konsum-Gut werden, das eben keine Selbstverständlichkeit mehr ist und in einem ökologischen Kontext geplant werden muss. Einfach auch deshalb, um Mobilitätskapazitäten für die Erfordernisse des Berufs, der Güterverteilung, der Ökonomie umweltverträglich freizuhalten – unabhängig davon, welche Antriebskonzepte wir verwenden. Durch beispielsweise geringere Nutzung natürlicher Umwelt für Urlaubsreisen erhöhen wir deren ökologische Regenerabilität. Und daraus ergeben sich möglicherweise veränderte ökonomische Möglichkeiten für bisherige Massenurlaubsregionen. Was ich mit dem Beispiel zeigen will, ist, dass die politische Debatte und alle Wahlvorschläge zum Klimawandel nicht beim Umdenken stehenbleiben dürfen, sondern eine Einstellungsveränderung anzielen sollten. 

Es war der Arzt und Psychotherapeut V. Frankl (1905 – 1997), auf den die Einstellungsveränderung als maßgebliches Therapeutikum in der psychologischen Therapie zurückgeht. Einstellungsveränderung ist dann sinnvoll, wenn das Veränderungshandeln eines Menschen gegenüber seinen existenziellen Lebensbedingungen nicht mehr wirksam ist und so dessen Anpassungswirksamkeit überfordert wird. Dann bleibt dem Menschen allerdings die Freiheit, sich selbst zu verändern, seine Selbstgestaltungspotenziale zu aktivieren. Das kann zu neuen Konzepten von Wirksamkeit auf und für die Lebenswelt führen. Dieser Schritt, das weiß ich aus meiner früheren therapeutischen Praxis und meiner persönlichen Entwicklungserfahrung, erfordert Mut, Offenheit im Denken, in den Bewertungen und in den Handlungsweisen. Er erfordert vor allem ein starkes, werthaltiges Motiv, ein „Wofür“ der risikoreichen Anstrengung. Er erfordert zuweilen wertschätzende Unterstützung, die frei von allem Paternalismus und Maternalismus ist. Und er fordert eine umsichtige Kultur, bei Rückschlägen, die sich unvermeidlich aus den gewohnten und manchmal auch uralten Bahnungen unseres Verhaltens ergeben, einen Strich zu ziehen, der die vertane Gelegenheit von der nächsten Möglichkeit trennt.

Zeitgemäße Politik wird, davon bin ich überzeugt, gerade um die Einstellungsveränderung der Einzelnen, die zur veränderten Haltung der Vielen werden kann, nicht herumkommen. Manchmal blitzt dieses intuitive Wissen in Äußerungen gerade der PolitikerInnen auf, die jüngeren Generationen angehören als ich. Meist sind sie dabei, zu alten Denkmustern (z.B. meiner Generation) auf Distanz zu gehen. Zur Einstellungsänderung gehört allerdings auch der Respekt vor dem, was bereits gelebt wurde. Die vergangene Geschichte gehört bereits zu uns Menschen. Die Zukunft kommt erst auf uns zu. Um ihr gewachsen zu sein, ist es zuweilen sinnvoll, mit einem bewussten Strich das Vergangene vom Künftigen zu trennen. Nur so wird die Gegenwart als Denk- und Handlungsraum, in ihrer Freiheit und unserer Verantwortlichkeit sichtbar. 

Ich wünsche mir, dass sich in der kommenden Wahl mehr PolitikerInnen durchsetzen, die sich von den prognostizierten Wahrscheinlichkeiten der Zukunft nicht einschüchtern lassen. Die reflektiert und klug neue, andere Möglichkeiten angesichts der Wahrscheinlichkeiten sondieren und dabei nicht vergessen, dass nicht die Technologie, nicht ökologische Strategien und ökonomische Investitionen allein, sondern vor allem die Ermutigung zu einer bewussten Einstellungsveränderung der Einzelnen den Wandel lebbar macht. Sie werden zusammen mit uns als Gesellschaft auf die Suche nach Motivationen gehen, die menschengemäß, ethisch gestaltbar und nicht nur evolutionär geboten sind. Sie werden uns für die Geduld des langsamen, erdgemäßen Wandels, der freilich sofort und energisch einzuleiten ist, gewinnen. Dann werden die nächsten Generationen eine lebenswerte Zukunft haben.

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