Im ARD-Brennpunkt (27.09.21) moderierten Tina Hassel, in „Hart-aber-fair“ Frank Plasberg jeweils Sendungen zum Tag nach der Bundestagswahl. Ich ärgere mich über beide Moderationen.
Erstens: Beide ModeratorInnen kritisierten wiederholt, dass es im Wahlkampf mehr um Personen statt um Inhalte gegangen sei. Beide insistierten in ihren Sendungen immer wieder auf Personalfragen, auch wenn die interviewten oder talkenden PolitikerInnen zu Sachthemen lenkten.
Zweitens: Im Wahlkampf warben drei KandidatInnen für die jeweilige Kanzlerschaft. Am Tag nach der Wahl dominierte der Kandidat der CDU die Debatten. Olaf Scholz kam im Brennpunkt zu Wort, Annalena Baerbock spielte keine Rolle mehr. Leider verschieben sich die Gewichtungen nur schwerfällig.
Drittens: Die Regierungsbildung wird – endlich wieder einmal – spannend. Nicht so sehr im Wer-mit-Wem. Vielmehr wird es interessant sein, ob ein Regierungsprogramm verhandelt wird, das die von allen drei KandidatInnen und den demokratischen Parteien (außer der AfD) beschworene Zukunftspolitik tatsächlich ermöglicht. Wozu muss jedoch in den Moderationen der Prozess der Regierungsbildung hoch dramatisiert werden? Nur weil es diesmal drei Parteien sind? Alle drei sind demokratisch. Jede von ihnen tritt mit einem spezifischen und unterscheidbaren Profil auf. Das ist wohltuend nach Jahrzehnten zunehmender Assimilation der sog. Volksparteien aneinander.
Ich frage mich schon, was die öffentlich-rechtlichen Medien treibt, vorwiegend auf Stimmung zu machen. Haben sie nicht einen dringend notwendigen Informationsauftrag? Gehört es nicht zur Sachlichkeit, neben Personen vorwiegend Inhalte gut aufbereitet darzustellen? Ist es nicht sinnvoller, PolitikerInnen bei deren Kommunikationsauftrag durch differenzierende, klärende Nachfrage, durch den geeigneten Raum für Argumente und präzise Zusammenfassungen zu unterstützen?
Dabei freue ich mich über den Wahlausgang.
Erstens: Es gibt verschiedene realistische Regierungsoptionen, ohne dass die AfD in irgendeiner, auch nur indirekten Form beteiligt ist. Eine neue Regierung wird in jedem Fall auf eine klare Mehrheit demokratischer Parteien verfügen.
Zweitens: Herr Scholz setzte mit dem Thema Respekt ein – leider in der Debatte zu wenig gewichtetes – ausdrückliches Zeichen gegen die politische Rechte. Ihr fehlt es gerade an Respekt. Herrn Meuthen (AfD) steht es einfach nicht zu, einen Verbrecher wie den Attentäter in Idar-Oberstein, als „durchgeknallten Irren“ zu bezeichnen. Solche Beispiele sind nicht peinlich; sie sind respektlos und erkennen Einzelnen deren Würde ab. Sie richten sich gegen das Humanum in unserer Gesellschaft.
Drittens: Die Anzahl der jüngeren Abgeordneten nimmt wohl in den meisten Parteien zu. Damit, das hoffe ich zumindest, werden die Zukunftsthemen wie Klimawandel und Klimaschutz, soziale und ökologische Verteilungsgerechtigkeit, Entwicklung der Digitalisierung, Rentensicherung vor allem für die nächsten Generationen innovativ, kreativ und in sozialer Verantwortlichkeit gedacht und umgesetzt.
Mir ist klar geworden, und das gehört für mich unbedingt zur Zukunftssorge, dass sich das individuelle und gesellschaftliche Leben verändern wird. Das gegenwärtige Mobilitätsverhalten, unser aller immer noch sorgloser Umgang mit den natürlichen und inzwischen auch technologischen Ressourcen, wahrscheinlich auch das Empfinden sozialer Gerechtigkeit wird sich erheblich verändern. Das wird von jedem Einzelnen Einstellungsveränderungen und Verhaltensänderungen verlangen. Wir werden Haltungen wie Respekt, Rücksichtnahme, Anerkennung der Würde der Person und des Lebens in neuen Diskursen andere Inhalte geben, die langsam und mit erheblicher individueller Mühe in die Praxis zu übersetzen sind. Bei alldem wünsche ich mir, dass die staatlichen Steuerungsprozesse einem dienen: in einer stark veränderten Welt das existenzielle Spannungsfeld von Freiheit und Verantwortlichkeit leben zu können, mit veränderten Formen von Genuss, Lebensfreunde und Begeisterung. Und großem Respekt vor dem Lebensende.
Wir haben uns am 26. September nicht verwählt. Jetzt gilt es für die, die wir in politische Verantwortlichkeit wählten, aus dem Votum heraus die Grundlage für eine zukunftsbewusste Regierungsarbeit zu schaffen. Ich bin optimistisch, dass das gelingt. Schade finde ich es, wenn Journalisten der politischen Gestaltung vorerst wieder nur Personalfragen abgewinnen.