Nikolaus, das Väterliche in mir

Nikolaus war Bischof in Myra, dem heutigen Demre, einer Mittelmeer-Stadt nahe Antalya. Die Legenden um den Heiligen heben vor allem seine Hilfsbereitschaft hervor. Nikolaus half Menschen in ihr Leben zurück. Er vermittelte ihnen, dass sie etwas wert sind. Wenn wir am 06. Dezember, dem Nikolaustag, einander kleine Geschenke machen, zeigen wir einander: Du bist wertvoll.

A. Grün (2002, S. 139 – 141) entdeckte in den Legenden über den Bischof Nikolaus einen interessanten Erzählzug: Nikolaus tritt dort ein, wo Menschen mit ihrer Weisheit am Ende sind. Dabei zeigt er sich als der väterliche Mensch, der sich unerschrocken für andere einsetzt und ihnen den Rücken stärkt. Wer wünschte sich nicht, dass es jemand an seiner Seite gibt, der einfach da ist, wenn das Leben schwer wird. Wer wünschte sich den Menschen nicht, an den er sich lehnen kann und der ihn auffängt, der einen unterstützt und den Rücken freihält.

Wenn wir uns nach solchen Menschen sehnen, fällt uns der Vater ein. Der Vater, der da war, stark und voller Überblick, ermutigend und zuversichtlich. Oder auch der Vater, den wir uns immer gewünscht hätten, nach dem wir uns sehnten, weil der eigene Vater anders war.

So berichtet eine Legende, dass Nikolaus nachts drei jungen Frauen Gold für die Aussteuer durch das Fenster in das Schlafzimmer warf. Der verarmte Vater hatte seine Töchter zur Prostitution gezwungen, damit er samt seiner Familie überleben konnte.

Nikolaus, der väterliche Mensch, trat für den hilflosen Vater ein – und gab den jungen Frauen mit dem Gold die Chance, ihre Würde wieder zu finden.

Manchmal haben wir das das Glück, einem Mann zu begegnen, der väterlich ist. Väterliche Menschen sind auf eine ganz eigene Weise liebevoll: Wer ihnen begegnet, erlebt beides, die Forderung und die Hingabe. Väterliche Menschen fordern auf, die Verantwortung für das eigene Leben selbst zu übernehmen. Sie machen das liebevoll und ermutigend. Wenn sie sich hingeben, dann eröffnen sie dadurch den Freiraum, Verantwortung zu leben.

Jede der jungen Frauen in der Legende erhält eben genau so viel Gold, wie sie braucht, um sich unabhängig zu machen. Väterliche Menschen entlasten von dem, was ich selbst nicht bewältigen kann. Sie  unterstützen in dem, was jemand gerade nicht selber schafft. Sie ermutigen dazu, das Leben ohne Zögerlichkeit anzupacken. Väterliche Menschen fördern die Neugier auf das, was noch nicht gelebt wird. Wer den Mut entwickelt, das persönliche Leben verantwortungsvoll zu gestalten, der entdeckt, wie frei er ist. Er verbohrt sich nicht mehr in seine Aufgaben oder sein Leben.

Eine andere Nikolauslegende berichtet, dass er einer Frau ihr kleines Kind wohlbehalten und lebendig wieder zurück schenkte. Sie hatte es baden wollen. Weil sie an der Bischofsweihe des Nikolaus von Myra teilnahm, hatte sie es auf der Feuerstelle im inzwischen siedenden Wasser sitzend vergessen.

In der Nähe väterlicher Menschen fühlt man sich geborgen und geschützt. Aber nie festgehalten und eingesperrt. Väterliche Menschen ermöglichen das Leben, aber sie übernehmen das Leben des anderen nicht. Väterliche Menschen sind für einen da, aber sie bleiben sich selbst treu und sind für einen da. Sie lassen sich bei aller ihnen eigenen Verlässlichkeit nicht besitzen.

Die Mutter in der Legende war zu sehr mit dem eigenen Leben beschäftigt. Sie dachte nicht mehr an das, was sie eigentlich wollte, ihr Kind baden. Mit dem Lebensgeschenk ihres Kindes erhielt sie auch den Glauben an das zurück, was ihr wirklich wertvoll ist.  

Wie wäre es, wenn wir dem Väterlichen nachspüren, das jede und jeder in uns hat?

Wie vieles mehr würden wir uns zutrauen?

Wie vieles mehr würden wir wagen?

Wie viel mehr würde das Leben – unser Leben werden?

Wie viel mehr wäre uns das Leben wert?

Grün, A. (2002): Fünfzig Helfer in der Not. Die Heiligen fürs Leben entdecken. Freiburg, Basel, Wien (Herder), S. 139 – 141

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