Und sie trinkt grünen Tee.

Bisher trinkt sie vorwiegend italienischen Kaffee. Die Anlässe sind unterschiedlich. Der Cappuccino zum Frühstück. Untertags, in den Arbeitspausen oder nach dem gemeinsamen Essen Macchiato oder Espresso. Und jetzt: grüner Tee, wenn sie zur Arbeit geht.

Aus der Perspektive des Ruheständlers schwer nachvollziehbar. Denn ich kann mir zu Hause einen Macchiato oder einen Espresso machen, um mich bei der Lektüre oder beim Schreiben zu unterbrechen. Ein Ritual, das wir beide genießen: das Aufheizgeräusch der Kaffeemaschine, der leicht heisere Klang der Kaffeemühle, der Duft des frisch gemahlenen Kaffees, das Einspannen des Siebträgers und das leise Rattern der Maschine, während die ersten Tropfen Espresso in die Tasse rinnen. Schließlich zischt die Dampfdüse beim Schäumen der Milch. Weg vom Schreibtisch, im Sessel oder draußen im Innenhof der kleine Genuss. Die Pause. Das kurze Gespräch, bevor wir wieder zur Arbeit zurückkehren. 

Und jetzt trinkt sie grünen Tee. Er bekommt ihr besser als der fremde Kaffee – und er passt wohl auch besser zu den Arbeitsabläufen im neuen Beruf. Vielleicht lässt sich die jeweilige Berufsumgebung auch dadurch kennzeichnen, was während des Arbeitstages getrunken wird. Während der wenigen Jahre als Mitarbeiter in der Führungskräfteentwicklung erlebte ich, wie kreative, teamorientierte mittelständische Unternehmen ihre MitarbeiterInnen motivieren. Eine wichtige Funktion übernimmt dabei die luxuriöse Kaffeemaschine, feines Kaffegeschirr und eine einladende, zur Kommunikation anregende Launch. Die Gespräche während der Kaffeepausen beginnen oft schon, während die Maschine den Kaffee zubereitet. Die gepflegte Atmosphäre lässt jedes Thema zu, private, teamorientierte und sach- und fachbezogene. Es ist eine Kunst, einen solchermaßen einladenden Raum im Betrieb zu schaffen, der als Oase in der Hektik Beruhigung ermöglicht, als Raum für die kreative Auszeit oder einfach als Ort, einander zu begegnen, dient. 

Wie anders sieht dies im sozialen, pflegerischen oder therapeutischen Berufsumfeld aus. Der neben der Besenkammer kleinste verfügbare Raum oder eine Ecke im Dienst- oder Stationszimmer, eine einfache Kaffeemaschine, die fauchend ein schauriges Getränk fabriziert, das ist eigenartigerweise gerade in beruflichen Umfeldern, die von der Kommunikation leben, die Umgebung für die Auszeit. Nicht viel anders sieht es in vielen LehrerInnenzimmern an Schulen aus oder in Behörden, wo die oft lieblose Kantine auch der Arbeitspause dient. Das Ergebnis ist, dass viele MitarbeiterInnen in solchen Berufsumgebungen das Pausengetränk arbeitsbegleitend zu sich nehmen. Meist wird es von zu Hause mitgebracht. Der grüne Tee eben …

Es ist kulturlos, was in den eben beschriebenen Unternehmenssparten geschieht. Denn die Pause muss gepflegt werden. Sonst verfällt sie und wird sinnlos. Das gilt im Homeoffice genauso wie im Betrieb. Viele haben gerade im Homeoffice der letzten beiden Jahre gelernt, wie notwendig die Pausenpflege ist. Die Pause lebt von Definition und Disziplin. Sie hat einen klaren Anfang und ein klares Ende. Wer die Pause zu sehr dehnt, der bringt sich selbst aus seinem Arbeitsrhythmus. Wer die Pausen vergisst, der bringt sich um den Arbeitsrhythmus. Denn er Arbeitsfluss reißt dann einfach mit, bestimmt den Arbeitenden – und nicht umgekehrt. Insofern ist Pausen machen und einhalten auch Ausdruck der Souveränität der Arbeitenden gegenüber der Arbeit. 

Die Arbeitspausen sind eng mit der Arbeitskultur eines Unternehmens oder des individuell Arbeitenden verbunden. Kultur leitet sich vom lateinischen Verb colere ab. Übersetzt wird es mit pflegen und hegen. Das Ergebnis des Pflegens und Hegens ist der cultus, die Lebensweise und die Bildung. Wer seine Pausen pflegt, der hegt durch die Pausen seine Arbeitszeit ein. Er gibt sich dadurch ein Feedback zu seiner Souveränität. Er nimmt sich die Freiheit zur Pause und verantwortet, wie er sie gestaltet. Deshalb ist die Pause auch Kultur: sie muss auch durch Ort und Rahmen ihren Wert für den arbeitenden Menschen ausdrücken. 

Die Eigenart der Kultur besteht gerade in der Gestaltung des Gewöhnlichen durch den Menschen. Eine Gestaltungsmöglichkeit ist die Interpunktion des Gewöhnlichen. Es wird dadurch unterbrochen, gegliedert und auf eine Ordnung bezogen. Die Pause im Arbeitsfluss interpunktiert ihn, schafft Arbeitseinheiten, fördert Kreativität für das folgende Arbeitspaket und ermöglicht die Reorientierung auf das Arbeitsziel. Durch Pausen gestaltet die/der Arbeitende den Arbeitsfluss zum Arbeitsprozess. Erst als Prozess wird Arbeit beschreibbar, dadurch erklärbar und im besten Fall verstehend nachvollziehbar. Das Unstrukturierte des Arbeitsflusses wird durch die Pause eingehegt. Die Pause stiftet Überschaubarkeit, weil sie die/der Arbeitende souverän setzt, indem er aus dem Fluss heraustritt. Deshalb bedarf Pause eines gestalteten Raumes, des guten Kaffees, der zur beruhigenden Distanz oder zum angeregt-anregenden Austausch einladenden Atmosphäre. Dann wird Pause cultus, eine Lebensweise, eine Bedingung von Bildung. Die Pause verbindet Arbeitsformen und Lebensweisen miteinander, so dass nicht nur produziert wird, sondern Bildung entsteht: cultus und cultura. Pause darf Kult sein, auch mit grünem Tee.

Hintergrundliteratur:

  • Buber, M. (1955): Der Mensch und sein Gebild. Heidelberg (Lambert Schneider)
  • Geyer, C.-F. (1994): Einführung in die Philosophie der Kultur. Darmstadt (Wiss. Buchgesellschaft)
  • Henrich, D. (2006): Die Philosophie im Prozeß der Kultur. Frankfurt (Suhrkamp)
  • Liessmann, K. (2017): Bildung als Provokation. Wien (Zsolnay)
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