Kernfäule – das Bild der Ampelregierung

Wer nur noch faule Kompromisse schließt, der vermodert schließlich. Dieses Bild bietet die deutsche Regierung derzeit. Der Kompromiss zum sog. Bürgergeld zeigt die Standpunktlosigkeit und daraus resultierende Konsensferne der Ampelregierung. Das Bürgergeld wurde als das wichtigste sozialpolitische Projekt der Bundesregierung präsentiert. Erwerbslose Menschen hätte es im sozialen Raum der Gesellschaft halten sollen. Nur wer IM sozialen Raum überleben kann, bleibt in Kontakt mit der Arbeitswelt als Leistungs- und Ermöglichungswelt. Darin besteht ja das psychische Problem der Langzeiterwerbslosigkeit, dass das Vertrauen in die eigene Bedeutung zusammen mit dem Zutrauen in das eigenen Können und Dürfen schwindet. Wer das Vermögen als Grundlage ökonomischer Sicherheit und Zukunftsfähigkeit (Altersversorgung) schwinden und sich gleichzeitig am Gängelband der Jobcenter immer mehr an den Rand des sozialen Raums der Gesellschaft geführt sieht, der verlernt, das eigene Leben zu führen. Hätte ich mich in einer kurzen Phase der Erwerbslosigkeit der demütigenden Inkompetenz der BeraterInnen des damaligen Arbeitsamtes überlassen, vielleicht wäre ich auch in den entwertenden und demotivierenden Weg der Langzeitarbeitslosigkeit eingeschwenkt. Nun verfügt nicht jeder durch Erwerbslosigkeit Betroffene über Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit, drei hochwertige akademische Abschlüsse und familiäre Unterstützung, um die persönliche Würde gegen die Zumutungen der Behörde durchzusetzen.

Langzeiterwerbslosigkeit ist nicht vorwiegend durch Arbeitsunwilligkeit begründet, auch wenn das Herr Merz, Herr Söder und ihre Parteien so sehen. Sie ist, wie ich in meiner psychotherapeutischen Praxis erfahren konnte, ein multifaktorieller Prozess, in dem Trauer, Entmutigung und Demotivation durch sinnferne Weiterbildungen und ungeeignete Arbeitsangebote oft in Depressivität münden. Selbstentwertung und soziale Entwertung bestätigen sich wechselseitig. Nach ein, zwei Jahren richten sich nicht wenige Betroffene in einem Verhältnis zu ihrem Leben ein, das von Selbstzweifeln, hausgemachten Belastungen, sozialer Entfremdung, Entmündigungserfahrungen und die Abhängigkeit von den Behörden (fordern!) bestimmt ist. Von wegen „fördern“! 

Wie weit dissentiert dieses Leben mit dem der EntscheiderInnen im Parlament! Wie sehr hatte ich auf die sozialpolitische Kompetenz der SPD gehofft, auf die Durchsetzungsstärke von H. Heil, dem Arbeits- und Sozialminister, wie sehr auf die sozialpolitische Dimension grünen Gesellschaftsverständnisses! Seit dem gestrigen faulen Kompromiss zum sog. „Bürgergeld“ weiß ich: Die wortmächtigen Ankündigungen der GRÜNEN, dass es dabei keinen Kompromiss gebe, der über den mühsamen in der Ampel errungenen hinausgehe, sind den CO2-Ausstoß beim Sprechen nicht wert! 

Wie oft lösten sich im vergangenen ersten Jahr der Ampel markige Statements roter und grüner PolitikerInnen in faule Kompromisse auf, denen die jeweiligen Parteien dann schmallippig zustimmten. Ob es um die Notwendigkeit, Mittel und Grenzen des Engagements im Krieg des Putinregimes gegen die Ukraine ging, ob um die Verantwortung für den Klimawandel oder das Coronamanagement, die GRÜNEN relativierten eine Kernüberzeugung ihres politischen Selbstverständnisses nach der anderen. Entleerte Kernhäuser faulen einfach. So wird aus dem Versuch R. Habecks, ein wenig philosophischen Verstand in die politische Debatte zu bringen, um sie wieder in die Nähe des Diskurses zu führen, aus dessen vermittelnder Kommunikation die Montage immer gequälter vorgebrachter Sprachblasen. Ein bisschen Platons Siebter Brief, freilich auf Barbiepuppenniveau. Jener schildert dort das politische Scheitern seiner philosophischen Regierungsidee in Syrakus an der Unwilligkeit der Beteiligten. A. Baerbocks kernige, Standpunkte heischende Aussagen zum Ukrainekrieg, zum Paradigmenwechsel in der Klimapolitik, zur femininen Vermenschlichung der Außenpolitik und den Menschenrechten verpuffen in wirkungsarmen Kompromissen des kleinstmöglichen Nenners. Hat Frau Baerbock Herrn Infantinos zynische Bekenntnisse zur Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft nicht gehört? Vieles wollte er sein, eine Frau nicht. Wer sich immer mit dem Kleinstmöglichen arrangiert, wird kleingeistig. Kleiner Geist im großen Wort, das ist keine Diplomatie! Großer Geist in kleinem Wort schon eher. Kurz: Derzeit ist die grüne Performance gescheitert! Und damit die Regierung in höchster Gefahr.

Der Bundeskanzler und seine SPD-Fraktion wissen das. Herr Scholz hüllt sich in unsichtbare Undurchsichtigkeit. Und die Medien bekommen sich nicht mehr ein, wenn er mal  – nein KEIN Machtwort! – spricht, sondern nur klar sagt, welchen Kompromiss er im Atomstreit für das Ei des Kolumbus hält. Auch solche Eier neigen zu fauligem Gestank, wenn sie viel zu lang herumliegen. Und die Restminister der SPD? Herr Prof. Dr. K. Lauterbach lernt gerade die Differenz zwischen Tatsachen und den statistischen Befunden darüber kennen. Noch neuartiger ist für ihn die Einsicht, dass es Menschen sind, die als Fachleute andere Menschen pflegen und behandeln – und keine Systeme. Frau Chr. Lambrecht versucht sich darin, einen Krieg zu unterstützen, ohne es nach Unterstützung aussehen zu lassen. H. Heil, der immer wieder einen Standpunkt behauptet, erlebt gerade, was es heißt, von mächtigeren Anderen abhängig zu sein..

Ein wunderbar freies Feld, um liberal zu agieren. Längst hat, wie es mir scheint, Chr. Lindner als Mann der monetären Entscheidungen die Macht an sich gerissen. Divide et impera. Und: der Finanzvorstand hat im Management im Zweifelsfall recht. Im Fall des Kompromisses zum sog. Bürgergeld koaliert er zudem ganz offen mit dem Oppositionsführer, F. Merz (CDU). Nachdem Herr Lindner versicherte, den innerkoalitionären Kompromiss zum Bürgergeld mit zu tragen, bietet er infolge der Bundestagsdebatte dazu Offenheit für Veränderungen an. Was herauskam, wissen wir. So ging das mit der Frage nach den Laufzeiten der Atomkraftwerke, mit der „Abfederung“ der Energiekosten, mit den Zielsetzungen in der Klimapolitik. Wir fahren abschnittsweise immer noch so schnell auf der Autobahn, wie es unser PKW hergibt. Wir haben ein paar Monate Treibstoff günstiger tanken und billig mit den verspätungsanfälligen und langsamen Regionalbahnen „reisen“  können. Danach raufte man sich monatelang wegen einer Fortsetzung des Billigtickets für den ÖPNV. Die sog. Elektromobilität, zu der viel zu lange schon solche Nonsenskonzepte wie Hybridautos gehören, wird gefördert oder auch wieder nicht mehr lange. Oder so. Oder anders. 

Wieviele faule Kompromisse wird die Koalition noch überstehen? Sie hat sich längst von innen her ausgehölt. Sie wirkt von massiver Kernfäule befallen. In dieser Lage blicke ich sehnsüchtig nach Italien. Nicht wegen der dortigen, indiskutablen rechten Regierung. Sondern wegen der Nonchalance, mit der Koalitionäre Regierungen platzen lassen, wenn es nicht mehr mit einander geht.

%d Bloggern gefällt das: