Heute erlebte ich etwas tief Berührendes, Menschliches. Ich übte Klavier. Einen Sonatensatz von Beethoven. Draußen gingen immer wieder Menschen vorbei. Sie waren auf dem Weg zum Weihnachtsmarkt auf dem Schlossberg in Neuburg. Gerade wiederholte ich auf vielerlei Weisen zwei Takte, um mir den Fingersatz einzuprägen. Ich begann den Satz noch einmal von vorne. Da klopfte jemand an das Zimmerfenster. Kurz blickte ich hoch. Ein Mann stand vor dem Fenster. Ich kannte ihn nicht. Er bedeutete mir, das Fenster aufzumachen. Als ich den Fensterflügel öffnete, sagte er in sehr gebrochenem Deutsch: Beethoven. Pathétique. Spielen, bitte, bitte. Ich ließ das Fenster auf. Andächtig hörte er mir zu. Ich bat ihn zur Tür. Er wollte nicht. Spielen nächste, bitte, bitte. In seinen Augen waren Tränen. Ich meinte, ich kann das alles nicht so gut. Ich lerne das erst. Gut, du. Spielen, bitte, bitte. Ich spielte den zweiten Satz, so gut ich konnte. Er applaudierte, verneigte sich. Ich Ukraine. Lange nix gehört. Beethoven. Pathétique. Und er ging weiter.
Ich saß an meinem Klavier. Nun hatte ich Tränen in den Augen. Es war ganz still um mich. In mir klangen seine Worte nach: Ich Ukraine. Lange nix gehört. Beethoven. Pathétique. Mit welcher Andacht er die Worte sprach. Noch nie hatte ich einen solch ergriffenen Zuhörer. Dabei kann ich das Stück wirklich nicht gut. Ich lerne es erst. Für ihn war es die Pathétique, die durch alles, was er in dieser Zeit erlebt, hindurch klang. Hoffnung? Zuversicht? Erinnerung?
Für diesen Moment fühlte ich, was mit Advent gemeint ist. Statt Vereinzelung Verbundenheit. Statt Misstrauen Begegnung. Statt Vollkommenheit Versuch. Statt Vergangenheit Gegenwart. Statt Verwicklungen Einfachheit: Lange nix gehört. Beethoven. Pathétique.