Werkstattbericht 1

Epimeleia hat sich mit einer Reihe von Beiträgen gefüllt, ein geeigneter Zeitpunkt für einen Einblick in meine Werkstatt. Ich werde von Zeit zu Zeit immer wieder einen „Werkstattbericht“ einstreuen.

Es gab Tage, in denen sich die öffentlichen Themen aufdrängten, die Pandemie und die politische Lage in den USA. Zum einen ließ ich mich durch die Nachrichten beeindrucken. Mich erreichen die Nachrichten von ARD, ZDF und von Bayern 5 aktuell. Auf dieser Grundlage vertiefe ich die aktuellen Berichte in der Regel durch Hintergrundartikel in der Süddeutschen Zeitung, in der ZEIT. Das sind meine wichtigsten Quellen für das politische Geschehen und gesellschaftliche Prozesse. Wichtig ist mir auch die Meinung von Kommentatoren, die sich über die Jahre als zuverlässige JournalistInnen und gründliche Rechercheure erwiesen haben. 

Nur allzu gern blicke ich mit den Augen des politischen Kabaretts auf das, was sich tut. Das ist zur Zeit sehr schwierig. Im Fernsehen haben KabarettistInnen, die starke Anleihen aus der Comedy nehmen, eindeutig den Vorzug. Und Liveauftritte gibt es ja nicht. Dabei erscheint mir die Kultur des politischen Kabaretts als ein wichtiges und trennscharfes Analyseforum, das einige Sprachmuster in Politik und Meinungsbildung des Scheins des Wichtigen beraubt. Eine Reihe politischer Äußerungen entlarven sich als geschickte Montage belangloser Worte und Phrasen. Manche Vorstände großer Konzerne stehen PolitikerInnen inzwischen in nichts nach. In die weithin performative Sprachwelt ökonomischer EntscheiderInnen haben sich Diplomatizismen eingeschlichen, nichtssagende Phrasen, die mit Gewicht vorgetragen werden. 

Überhaupt die Sprache! Oft regen mich Worte, Begriffe in den Nachrichten oder Kommentaren dazu an, sie wenigstens eine Strecke lang philosophisch nach zu verfolgen. Dabei tauche ich in die Gedanken- und Sprachwelten philosophischer DenkerInnen ein und genieße deren Ringen um den Begriff. Eine hochdifferenzierte und von unglaublichen Textkenntnissen getragene philologische Analyse zu einem Wort durch den italienischen Philosophen Giorgio Agamben, die systematische Kraft der Sprache bei Jürgen Habermas, die elementare Wucht der Verbindung von Begriff und Symbol bei Ernst Bloch, die immer betroffene Klarheit der Worte von Hannah Arendt, ja und auch das existenzialanalytische Raunen eines Martin Heidegger, um nur ganz wenige zu nennen, kann Gedankengenuss sein. So lässt sich, wenn ich selbst diszipliniert im Nach-Denken bleibe, oft so manches Geschehen für mich ordnen und einordnen. Die Sprache ist DAS Medium menschlichen Selbstverstehens und -verhaltens.

Ich verweile noch ein wenig in der Sprachwerkstatt. In den Weihnachtstagen las ich ein wunderbares Buch von Alessandro Baricco: „So sprach Achill“. Der Schriftsteller erzählt in einer für die Lesung komponierten Fassung Homers Ilias nach. Es gelingt ihm, in seiner Prosanacherzählung die homerische Sprach- und Bildkraft des in Hexametern verfassten Epos zu verdichten und ergreifend zu machen. So gelungen klingt es, wenn ein Meister der Sprache die meisterhafte Sprache des anderen erzählt. Die einzelnen auf verschiedene Weise tragenden Persönlichkeiten des Krieges um Troja treten auf und lassen sich in den strategischen, motivierenden, politischen und existenziellen Planungen, Erwägungen, Zweifeln und Taten vor Troja erleben. Am Ende des verdichteten Textes bleiben dem Leser die besiegten Trojaner samt ihrer stolzen Ambivalenz von Zuversicht und Verzweiflung während der Jahrzehnte des Krieges um die eigenen Stadt in Erinnerung – ebenso vertraut und fremd zugleich wie die Griechen. Und es bleiben die wichtigen Sätze der troischen Frauen, zu denen auch Helena gehört, die schöne Frau aus Griechenland, die Paris, dem troischen Königssohn folgte. 

Aus solcher Lektüre nehme ich oft Gedanken mit in die Nacht, wo sie im Traum mein eigenes Denken anregen und weiterbringen. Manchmal stehe ich dann auf und notiere die Grundgedanken, um Neues zu schreiben.

Barrico, A. (2018): So sprach Achill. Die Ilias nacherzählt. Hamburg (Hoffmann und Campe)

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