Die Rose

In einem Adventslied aus dem 15. Jahrhundert heißt es:

Maria durch ein Dornwald ging … Da haben die Dornen Rosen getrag‘n.

Die rote Rose gehört zu den lang bekannten Symbolen der Adventszeit. Ihre Schönheit, ihr Duft, ihre ausdrucksvolle Gestalt verleihen der Rose etwas Einzigartiges, sie von anderen Blumen Unterscheidendes.

Rosen haben Dornen. Ihre Schönheit ist nicht einfach so zu haben. Wer sich auf die Schönheit der Rose einlässt, der muss auch mit ihren Dornen rechnen. Die Rose will erobert werden. Mit ihr geht, wer sie besitzt, vorsichtig um, damit er sich nicht verletzt und die kostbare Blüte nicht beschädigt.

Wer eine rote Rose verschenkt, sagt dem Beschenkten, wie sehr er ihn schätzt. Der Schenkende drückt mit der roten Rose dem Beschenkten seine Liebe aus. Der Rosenduft erinnert an die sanfte Gegenwart des Liebenden. Die rote Farbe erzählt von der Leidenschaft der Liebe. Der edle Blütenkelch der Rose drückt die Ehrfurcht vor der geheimnisvollen Andersheit des geliebten Menschen aus. Die Dornen mahnen dazu, die Grenzen der Liebe ernst zu nehmen, um einander nicht zu verletzen.

Die christlichen Legenden verbinden Maria und Jesus mit dem Symbol der Rose. In Colmar findet sich in der Dominikanerkirche das berühmte Bild Martin Schongauers: Maria im Rosenhag. Es entstand 1473. Maria, die das Jesuskind im Arm hält, ruht vor einem Rosenspalier. 

„Ich bin übers Gebirge zu Elisabeth gegangen, und wir haben uns angesehen und umarmt und einander gesagt, was wir wußten. Wir vertrauten uns unsere Geheimnisse an. … Wo wir gingen, erblühten die Blumen, Hibiskus, Jasmin, Rosen und Mohn.“

Jesus, der andere Mensch, bringt die Blumen zum Blühen. Wo Jesus dem Leben begegnet, erschließt sich dessen bereichernde Seite. Das ist von Anfang an so, wie das alte Adventslied weiß. Wo Jesus hinkommt, blühen die Rosen auf. Die Rose, die edle Blume, erzählt vom Reichtum des Lebens. Die Rosenseiten des Lebens, auf sie gehen Menschen zu, wenn sie sich auf das Leben einlassen, nicht entfremdet und nur mir den persönlichen Interessen beschäftigt, auch nicht anhaftend am Leben, so dass sie die persönliche Freiheit aufgeben. Sie werden sich bewusst, wie wertvoll des Leben ist, wie schützenswert und wie bereichernd.

Wenn wir anderen Menschen eine Rose schenken, so wissen wir uns mit ihm im Reich des wertvollen Lebens. Die verschenkte Rose erzählt vom Überfluss, mit dem jede und jeder den Mitmenschen bereichern kann. Ohne dass jener das erwartet oder einfordert.

Das macht die rote Rose zu einem Symbol des Advent:

Sie weist auf das unerwartet Andere, das Bereichernde hin, das immer auch in unserem Leben ankommen will, das uns losreißt aus dem ewig Gleichen, das uns aufbricht für den Reichtum des Lebens, das uns an unseren eignen Wert erinnert.

Wo das unerwartet Andere im Leben ankommt, dort öffnet sich der Advent der Weihnacht, jener geheimnisvollen Stunde, in der wir unser Leben dem jeweils Wertvolleren weihen.

Brückner, Chr. (11. Aufl. 1985): Wenn du geredet hättest, Desdemona. Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen. Hamburg (Hoffmann und Campe), S. 141 f.

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