„Der Präsident benutzt Sprache, um seine Gedanken zu verstecken, nicht um sie zu äußern … Interessant ist nicht, was er sagt, sondern, was er tut.“ (SZ Nr. 35, 12./13.02,2022, S. 14) So zitiert die SZ den russischen Journalisten Nikolai Swanidse. Gemeint ist W. Putin. Wird solcher Gebrauch von Sprache der Sprache gerecht? Sprache als Versteck der Gedanken?
Wiewohl es reizvoll ist, will ich mich nicht philosophisch mit der These „Sprache als Versteck der Gedanken“ auseinandersetzen. Meine Besorgnis angesichts des bedrohten Friedens in Europa veranlasst mich, die These in einem eher psychologischen Kontext aufgreifen. Es geht um Vertrauen.
„Ich gebe dir mein Wort.“, sagen wir einander. Dadurch stellen Menschen für einander Verlässlichkeit her. „Mein Wort“ wird für den anderen eine Zusage, auf die er etwas in seinem Leben gründen kann. In „meinem Wort“ spreche ich mit dem anderen über meine Beziehung zu mir selbst und zu dem Wirklichkeitsausschnitt, zu dem ich „mein Wort“ gebe. Ich drücke darin meine persönliche Verbundenheit mit ebendieser Wirklichkeit aus. Und ich sage dem anderen darin zu, dass ich mich mit „meinem Wortes“ verbinde. Verbindlichkeit im Wort kann dem anderen Grund sein, „meinem Wort“ und mir zu trauen. Vertrauen entsteht. Die Erfahrung wird es bestätigen oder in Frage stellen.
Letztlich beruht auch das Vertrauen in Informationen darauf, dass mir jemand Anhaltspunkte gibt, dem Inhalt seiner Rede zu trauen. Der Grund kann liegt im Informanten. Er weist sich auf der Sachebene als fachlich kompetent und als zuverlässig in der Recherche aus. Er verwendet eine Sprache, in der Inhalte möglichst eindeutig formuliert werden und überprüfbar sind. Die Intention, informieren zu wollen, ist mir nachvollziehbar. Ich halte den Informanten für vertrauenswürdig und die Information für verlässlich. Durch Überprüfung wird die Verlässlichkeit bestätigt oder in Frage gestellt.
Ein autokratischer Politiker benützt die Sprache, mit der wir Menschen uns eine einzigartige Möglichkeit der Vertrauenswürdigkeit geschaffen haben, anders: Er verschleiert seine Gedanken damit. Er gibt nicht „sein“ Wort. Er hält seine persönliche Verbundenheit mit der Wirklichkeit zurück. Er teilt nichts darüber mit, was er mit der Wirklichkeit beabsichtigt. So werden seine Intentionen nicht greifbar. Nicht einmal Anhaltspunkte liefern die Worte, weil sie keinen Bezug zum Sprecher haben. Er gibt letztlich immer weniger sein „Wort“. Derart beziehungslos zur Wirklichkeit werden Worte zu Hohlformen, die keine Verbindlichkeit mehr haben. Sie werden zu Buchstabenfolgen, zu Lauten, die konventionell zusammengefügt sind. Schließlich werden auch die Konventionen, die den Worten eine Ordnung geben, unterlaufen. Es wird bedeutungslos, was gesagt wird. Der Bezugsraum des Vertrauens ist aufgehoben. Die Sprache ist als Haus des Vertrauens völlig entkernt.
Wir sollten uns klar machen, wie weit Autokratie führen kann. Sie höhlt die Sprache aus, indem sie jene als Versteck für die Gedanken gebraucht. Die einzige Funktion der Worte besteht darin, den Sprecher in seiner machtvollen Vorhandenheit anzuzeigen. Mehr teilt sich in der Sprache nicht mehr mit. Charlie Chaplin führte dies in seinem Film „Der große Diktator“ meisterhaft vor. Ich spreche, also bin ich vorhanden. Ich spreche, also habe ich Macht. Bloße Vorhandenheit aber stellt keine Beziehung her. Autokraten werden einsame Menschen. Sie distanzieren sich zunehmend von denen, über die sie ihre Macht ausüben. Wo nur noch Distanz herrscht, verliert sich das Vertrauen. Das Vakuum füllt sich mit Angst. Manche Psychotherapeuten sprechen von „Vakatwucherungen“. Sie beschreiben damit, dass in vertrauensentleerte Räume krisenbegünstigende Ersatzgefühle hinein wuchern.
Was Autokraten bleibt, ist die Tat. Sie zeigen ihre Macht in dem, was sie tun. Die anderen müssen mit dem, was sie gemacht haben, leben. Deshalb fühlen wir uns gegenüber Autokraten zur Sprachlosigkeit verurteilt. Denn der autokratischen Sprache wurden die Gedanken entzogen, die etwas über die Verbundenheit mit der Wirklichkeit mitteilen. Worauf kann ich da noch vertrauen? Ein Autokrat gibt keinem „sein Wort“. Er zahlt mit der Tat, ganz nach seinem persönlichen Gutdünken. So ermöglichen auch die Taten kein Vertrauen.
Mich ärgert es deshalb, wenn die sprachliche Zurückhaltung der Bundesregierung kritisiert wird. Verbale Diät kann die Sorge um das rechte Wort ausdrücken. Zu jener gehört die Klärung der Gedanken. Für den geklärten Gedanken lassen sich dann Worte finden, die man geben kann. Dazu braucht es die Stille.
Der Psychotherapeut Uwe Böschemeyer (2003, S. 286) gibt mir seine Worte für den Prozess der Wortfindung, die ich gerne weitergebe: „Wenn ich mich auf ein wichtiges Gespräch vorbereite, suche ich die Stille. Denn die Stille ist der ‚Ort‘, an dem sich die Seele sammelt und sich deutlicher als sonst zur Sprache bringt. … Vernachlässigte Gedanken und Gefühle gewinnen wieder Raum. Das Tor zur Intuition weitet sich. Bilder des Geistes werden sichtbar, Gründe für Leben fühlbar. Die Wurzeln der Wörter zeigen sich. Die Worte werden elementar, echt, unmittelbar.“ Solche Worte teilen die Verbundenheit des Autors mit der Wirklichkeit mit. Die Worte offenbaren Gedanken.
Ich finde es beruhigend, wenn die Bundesregierung nicht einfach Worte von sich gibt, sondern wenn sie uns Worte gibt, denen wir vertrauen können. Das können weniger Worte sein, als wir es in der Lautsprache unserer Zeiten gewohnt sind. Wenn sie geistvoll sind und Gründe zu leben enthalten, dann können wir vertrauensvoll auf die Taten warten. Worte und Taten werden dann aufeinander beziehbar sein. Anders als bei Herrn Putin, der seine Gedanken hinter den Worten versteckt und nur Taten sprechen lässt. Ohne Kontext. Unverständlich.
Böschemeyer, U. (2003): Worauf es ankommt. Werte als Wegweiser. München (Piper)